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iMusizieren: Es ist einfach, aber nicht leicht.

Matthias Krebs | 20. April 2011

Am 18. April wurde endlich auch das dritte Video der Performance bei der IEB Annual Conference auf dem Youtube-Kanal des DigiEnsemble Berlin veröffentlicht und sorgt nun sogar in der (überschaubaren) mobile-music-Szene weltweit für Aufmerksamkeit. In den Videos wird aus mehreren Perspektiven die Spielweise auf den mobilen Endgeräten gezeigt. Damit sollen Einblicke gegeben werden, wie es aussehen kann, wenn eine Musikergruppe von derzeit acht Musikern mit mobilen Endgeräten wie iPod-Touch, iPad und iPhone im Ensemble musiziert.

Da es sich bei den Mitgliedern unseres Ensembles um Musikstudierende sowie professionell aktive Musiker handelt (Sänger, Streicher, Flötisten, Kirchenmusiker, Gitarristen, Trompeter mit überwiegend klassischem Ausbildungshintergrund), sind Anspruch und Erwartungen an den Klang, die Spielweise und die musikalische Qualitäten sehr hoch. Die Frage, ob das, was wir da machen, wirklich Musik sei, begleitet stets unsere Probendiskussionen. Es ist die ständige Suche nach Möglichkeiten, unsere Vorstellungen von Musik mit den mobilen Geräten umzusetzen. Eine interessante Herausforderung stellt für uns z. B. dar, verschiedene musikalische Stilrichtungen mit den im App-Store verfügbaren Musik-Apps zu realisieren.

Als systematische Leitlinie haben wir uns darauf geeinigt, im ersten Schritt „traditionelle“ Stile und Genres auf den Hosentaschen-Instrumenten zu imitieren. Die jüngst auf Youtube veröffentlichten Musikstücke sind eine Auswahl, um bestimmte Merkmale wie die Bewegungssteuerung von Klangparametern (Dynamik, Tremolo, Vibrato etc.) oder das Abbilden von Bandinstrumenten in ihren Möglichkeiten und Grenzen prägnant aufzuzeigen. Im folgenden Video ist anhand der klassischen Stilkopie „St. Anna“ (Eigenkomposition) die Umsetzung einer traditionellen Spielweise zu sehen. Oder vielleicht besser gesagt, zeigt das Video, wie sich unsere Klangvorstellungen und Musiziererfahrungen auf die  Spiel- und Musizierweise ausgewirkt haben. Deutlich werden etwa die gemeinsame Phrasierung in der Gruppe sowie die differenzierte Klangsteuerung mit der anspruchsvollen Instrumenten-Anwendung ThumbJam.

[youtube=http://www.youtube.com/watch?v=xdYt2mHq9pk]

Unser Ziel ist es, einerseits durch die Nachahmung von traditionellen Spielpraxen vielfältige Anknüpfungspunkte bei Interessierten herzustellen (indem wir z. B. bekannte Stücke einstudieren oder auf klassische Ausdrucksweisen zurückgreifen). Auf der anderen Seite wollen wir im ersten Schritt eine Basis zu schaffen, die es uns erleichtert, ein Strategien-Repertoire zu erarbeiten. Unsere Erfahrungen wollen wir gern teilen. Die veröffentlichten Videos wollen Mut machen, mit den heute bereits alltäglichen und weit verbreiteten Kommunikationstechnologien selbst musikalisch zu experimentieren. Darüber hinaus werden in regelmäßigen Abständen offene Probentermine an der Universität der Künste Berlin angeboten, zu denen Interessenten herzlich eingeladen sind, mit uns zusammen auf ihrem iPod, iPhone, iPad etc. Musik zu machen.

Bei der Erkundung der zahlreichen Instrumenten-Anwendungen hat es sich erwiesen, dass das spielerische Improvisieren zunächst keine befriedigenden Ergebnisse lieferte. Die Klangvielfalt und die große Bandbreite an diversen Spielweisen und an Möglichkeiten, Klänge zu organisieren, behinderten häufig die musikalischen Ideen der Gruppe. Hier galt es zunächst die Parameter und die Anzahl der verwandten Musik-Apps zu reduzieren. Deutlich wurde auch, dass, wenn man über das spielerische Erkunden der Musik-Apps hinausgehen und diese zum Musikmachen differenziert nutzen möchte, man letztlich auch bei den Instrumenten-Anwendungen auf den Smartphones nicht umhinkommt, sich mit den Programmen länger zu auseinanderzusetzen. Natürlich muss man dann auch die Musik-Apps sehr wohl im instrumentalen Sinne üben.

Bei der gezielten Aneignung von Instrumenten-Anwendungen auf mobilen Endgeräten stehen meist nicht etwa die Funktionen der jeweiligen Apps im Vordergrund, die in der Bedienungsanleitung nachzulesen wäre, sondern gleich der musikalische Umgang mit ihnen. Die Eigenschaft, dass Apps sich intuitiv in ihrer Funktionalität erschließen und insbesondere durch einen Nutzen bestimmt sind, ist einer der Gründe für den Erfolg der Apple-Miniprogramme. Die Handhabung ist selbst bei erfolgreichen „Profi“-Programmen auf wesentliche Konzepte reduziert. Doch der musikalische Gebrauch dieser Konzepte, die jeweils eine eigene Spielweise implizieren, muss spätestens für das Musizieren in der Gruppe an die eigenen Fähigkeiten angepasst und einstudiert werden. Im folgenden Video war insbesondere die Realisierung der solistischen Gitarrenbegleitung eine echte Herausforderung. Das vermeintlich Einfache stellt sich als gar nicht so leicht heraus!

[youtube=http://www.youtube.com/watch?v=gPv1u9kapXQ]

Um zu ergründen, ob und wie man mit mobilen Endgeräten Musik machen kann, ist es allerdings der Anspruch des DigiEnsembles, über den Schritt des Nachahmens hinauszugehen. Geteilte Ansicht im Ensemble ist, dass es nicht darum gehen kann, traditionelle Instrumente wie Gitarre, Trompete und Streicher durch das graphische Pendant auf den modernen Multifunktionsgeräten zu ersetzen. Es soll und kann auch nicht darum gehen, Beethovens Klavierwerk auf der Glasplatte des iPads artistisch zu realisieren und anschließend vom  „Instrument der Zukunft“ zu sprechen. Meiner Ansicht nach wäre die Zukunft der mobile music vielmehr eine Musik, welche die spezifischen Eigenschaften der mobilen Endgeräte strukturell reflektiert. Dazu gehören die neuartigen Möglichkeiten, die sich durch das (frei gestaltbare) graphische Interface ergeben, die Klangmodulation durch das Bewegen der Geräte, der direkte (Berührung) Zugang zur Klangerzeugung und Musikgestaltung sowie auch die Möglichkeiten zur Skalierbarkeit (Anpassbarkeit) an die Fähigkeiten des Musizierenden. Außerdem besteht auch hohes Potenzial in der Synchronisierung von Geräten und in der Vernetzung über das Internet.

Die Nutzungsmöglichkeiten digitaler Kommunikationstechnologien wie das Internet, Smartphones und Tablets verändern den Umgang mit Musik in einer bisher schwer überschaubaren Art und Weise. Wir stehen hier noch am Anfang dieser Entwicklung. Durch die graphischen und bewegungsgesteuerten Schnittstellen werden einige neuartige und viele „alte“ Konzepte zur Gestaltung von musikalischen Abläufen und zum Musizieren ab Bedeutung gewinnen. Durch die spezifischen Möglichkeiten und den sich daraus ergebenden Spielraum verändert sich insbesondere bei aktiv Nutzenden das Verhältnis zu Klang und Musik grundlegend. Musizieren mit mobilen Endgeräten ist jedoch nicht die Weiterentwicklung von Musikinstrumenten, sondern bietet im Sinne einer Werkstatt neuartige Instrumente und Spielweisen an. Das Musikmachen mit mobilen Endgeräten kann vielleicht wie andere moderne Genres (z. B. elektroakustische Musik und Netzmusik) als eine Nebenentwicklung gesehen werden.

Vor dem Hintergrund, dass Lebenswelten von Heranwachsenden sich als durch und durch mediatisiert erweisen, schreibt den vernetzten Mobilgeräten als Musiktechnologien eine besondere Rolle zu. Die Schlussfolgerung, dass die Verwendung von iPads im Musikunterricht per se zum modernen Musiklernen verhilft, greift jedoch zu kurz. Wenn der Umgang mit Musik im Unterricht (in sog. iPad-Klassen) allein darauf reduziert würde, virtuelle Gitarrenseiten nach einem Akkordschema optisch zum Schwingen zu bringen, dann hätten diese Aktivitäten nicht viel mehr als aktionistischen Charakter. Der Einsatz von mobilen Endgeräten im Musikunterricht als bloßer Ersatz für Klavier, Keyboard und Musikbuch kann nicht die Zukunft der Musiklehre sein und keine Vorteile gegenüber den bewährten Lehrmitteln bieten. Um herauszufinden, welchen Nutzen diese neuartigen Musiktechnologien bieten, müssen die Stärken dieser Kommunikationstechnologien ergründet sowie sinnvolle Konzepte für die Musikvermittlung erprobt werden. Die neuartigen medialen und technologischen Strukturen erfordern auch die Neuentwicklung von Forschungsmethoden.

Trotz dieser kritischen Bemerkungen sei aber darauf hingewiesen, dass bei den Proben des DigiEnsembles durchaus inspirierende musikalische Erfahrungen gemacht wurden. Im Suchprozess lassen sich zudem eine ganze Reihe grundlegender Strategien der Musikaneignung im Selbstversuch nachvollziehen. In den nächsten Schritten wollen wir erkunden, wie originäre Musik auf mobilen Endgeräten (mobile music) klingt; wie gemeinsames Musizieren stattfinden kann; in welchen Situationen die Form der musikalischen Betätigung bedeutsam werden kann; welche neuartigen Konzepte der Musik-Apps sich für die Gestaltung von Musik anbieten; unter welchen Bedingungen Musik auf den Geräten gemacht wird; und nicht zuletzt, inwieweit Musiklernen mit diesen Anwendungen stattfindet und damit sinnvoll unterstützt werden kann. An der Universität Potsdam wird dazu im Sommersemester 2011 auch das musikpädagogische Proseminar „Musikmachen mit Handys“ angeboten, worin u. a. Unterrichtsideen mit mobilen Endgeräten im Schulunterricht erprobt werden.

In einem folgenden (Blog-)Artikel sollen die Erfahrungen bei der Erarbeitung des Stückes „St. Anna“ im klassischen Stil reflektiert werden.

Mit herzlichen Grüßen, Matthias Krebs

Auswahl an Blogs, in denen die Videos gezeigt wurden (siehe auch die Blogkommentare):

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Matthias Krebs

ist Appmusiker, Diplom-Musik- und Medienpädagoge und wissenschaftlich tätig.

Matthias Krebs ist Gründer und Leiter des Smartphone-Orchesters DigiEnsemble Berlin und beschäftigt sich im Rahmen seiner Promotion mit der Aneignung digitaler Musikinstrumente. Weitere Forschungsschwerpunkte betreffen: Digitale Medien in Lehre und Forschung, Kommunikation im Social Web, Netzkunst, digitale Musikinstrumente und Musiker-Selbstvermarktung.

Er arbeitet und wirkt an der Universität der Künste Berlin als wissenschaftlicher Mitarbeiter, ist als Lehrbeauftragter an mehreren deutschen Musikhochschulen tätig und leitet regelmäßig Workshops.

Mehr: www.matthiaskrebs.de



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