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Mit Smartphones klassische Musik spielen: „Ostinato für 8 iPods“

Matthias Krebs | 12. August 2011

Mit mobilen Endgeräten wie iPod touch, iPhone oder iPad kann man gut in kleineren Gruppen musizieren. Diese Erkenntnis steht für die Mitglieder des DigiEnsembles Berlin mittlerweile außer Frage. Die ersten Proben im Januar 2011 hatten daran noch Zweifel aufkommen lassen, denn die Klangresultate auf den kleinen Geräten mit ihren winzigen bunten Musik-Apps waren anfangs alles andere als musikalisch befriedigend, ein dahinwabernder Brei von sphärischen Klängen.

DigiEnsemble Berlin - Ostinato für 8 iPods | Foto Videoaufnahme iPhone, iPad

DigiEnsemble Berlin probt „Ostinato für 8 iPods“

Zwar gab es schon eine Vielzahl von bemerkenswerten Apps zum Musikmachen, allerdings konnten die Ensemble-Mitglieder zu der Zeit auf keinerlei Erfahrung zurückgreifen, wie diese vielgestaltigen Anwendungen im gemeinsamen Spiel zu handhaben wären, um wirklich Musik erklingen zu lassen. Viele der erprobten Apps waren zunächst ungenügend musikalisch kontrollierbar oder boten nicht mehr als ein flüchtiges Erkunden von kleinen “Musikautomaten” an. Einige instrumentenartige Anwendungen wiesen zwar einen guten Klang auf, waren dafür aber spieltechnisch nur eingeschränkt musikalisch nutzbar. Inzwischen ist das DigiEnsemble Berlin (aber) auf eine immer größer werdende Auswahl von Musizier-Apps eingespielt.

Erzählt man Freunden, Freundesfreunden, Bekannten oder flüchtigen Bekanntschaften vom gemeinsamen Musizieren auf Smartphones, so erntet man als erstes meist ungläubiges Kopfschütteln. Wenn man ihnen dann die faszinierende Bedienung einiger Instrumenten-Apps und die überraschend gute Klangqualität der Smartphones vorführt, weichen in der Regel die skeptischen Blicke einem interessierten Lächeln. Bei der Gelegenheit kann auch eines der vielen Youtube-Videos über virtuose Klang-Experimente auf Handys gezeigt werden (Playlisten 1 | 2). Damit hat man den Gesprächspartner häufig schon erschlagen und er entschuldigt sich: “Ich kann ja leider kein Instrument spielen”. Darauf antworte ich: “Es gibt eine breite Auswahl. Auch ich muss jede Instrumenten-App neu lernen und bin zuerst Anfänger, das macht für mich gerade den Reiz aus. Aber Digi-Instrumente sind intuitiv zu bedienen und man erzielt schnell erste klangliche Erfolge. Mit etwas Übung kann ich dann eigene Musikstücke spielen. Am spannendsten ist es für mich, zusammen mit anderen gemeinsam zu musizieren.

DiEn | Foto: Cora-Mae Gregorschewski

Diese Szene spielt sich ganz häufig so oder so ähnlich ab. Aber Musikmachen mit Smartphones scheint immer noch auf viele einen irgendwie “nerdigen” Eindruck zu machen. Dabei beinhaltet diese Musikpraxis neben Digi-Instrumenten, wie sie das DigiEnsemble auf Konzerten einsetzt, noch viele andere Möglichkeiten des kreativen Umgangs mit musikalischen Strukturen und Klängen. Hierzu zählen zum Teil kurios wirkende Soundtoys, aber auch komplexe DJ-Controller oder mächtige Produktionsumgebungen, die in einem anderen Artikel ausführlicher beschrieben werden sollen. Die mittlerweile über 10.000 Musik-Apps habe ich hier (Link) einmal grob zu klassifizieren versucht.

Während das musikalische Aktionsfeld mit Smartphones immer größer wird und auch einige technische Probleme (noch) ungelöst bleiben, stellt sich die schwierige Frage, welche gestalterischen Prinzipien für eine Musikperformance konzeptionell oder ästhetisch sinn- und wirkungsvoll sind. Aus Sicht des Ensembles kann erst das künstlerische Experiment darüber Aufschluss geben.

Im Ensemblespiel gemeinsam auszuprobieren, wie sich das Musikmachen mit den kleinen Hosentaschen-Computern künftig gestalten kann, motiviert uns. Die sehr vielfältigen und flexibel kombinierbaren Möglichkeiten, sich mit den neuartigen Geräten musikalisch zu betätigen, sind dabei durch einige neuartige und viele herkömmliche Erscheinungsformen und Handlungsweisen bestimmt. Da hier mit den Musik-Apps ein Instrumentarium genutzt wird, dass prinzipiell jedem (im App-Store) zur Verfügung steht, existiert hier eine große Unterschied zu anderen technologiebasierten Kunstformen der Avantgarde-Kunst, die sich eher an Experten richtet und sich einer alltäglichen Nutzung eher verschließt.

DiEn | Foto vom Videodreh (Oliver Güngör, Sandra Hübner, Gösta Oelstrom, Till Rotter)

In den kommenden Tagen will das DigiEnsemble nun mit der Veröffentlichung eines umfangreichen Materials die erste Experimentierphase abschließen, in der ausprobiert wurde, wie herkömmliche Musik (St. Anna, Starlight) mit Smartphones umgesetzt werden kann. Dafür haben wir zusammen mit einem hervorragenden Team von Unterstützern, die Eigenkomposition “Ostinato für 8 iPods” von DigiEnsemble-Mitglied Uwe Schamburek so vorzubereiten versucht, dass insbesondere die Spielweise deutlich wird. Neben zwei aufwendig produzierten Videos werden auch die Noten und eine Spielanleitung des Bosso Ostinatos veröffentlicht. So dass Interessenten es gern selbst spielen können. Das Stück richtet sich insbesondere an diejenigen, die kein Instrument gelernt haben oder nur noch selten das Instrument zur Hand nehmen können. Es ist so konzipiert, dass selbst Anfängern ein einfacher Einstieg ins Digi-Musizieren ermöglicht wird.

Das Video (geschnitten von Lukasz Fabijanczyk) zeigt unsere Interpretation des Basso Ostinatos „Ostinato für 8 iPods“. Wie klingt eure?

Die musikalischen Versuche des DigiEnsembles werden sich in den nächsten Wochen, auf der Basis unserer systematisch gesammelten Erfahrungen, nun stärker auf neue Formen des Musikmachens fokussieren. Wir nennen es schlicht unser “September-Projekt: Auf der Suche nach der iPad-Musik” (Arbeitstitel). Dabei soll weiterhin Musik entstehen, die auch von „Nicht-Experten“ gehört und geschätzt werden kann. Das Ergebnis dieser Suche präsentieren wir am 10. und 11. September in Berlin „mobil“ an mehreren öffentlichen Orten in Berlin. Im November wird es mehrere Konzertveranstaltungen des DigiEnsembles Berlin in ganz Deutschland geben. Das Konzertprogramm soll dann sowohl herkömmliche Konzepte (Musik im klassischen Stil oder Band-Musik) als auch Elemente aus dem September-Projekt beinhaltet.

Wir sind gespannt auf das, was sich noch auf dem Gebiet der Digi-Musik entwickeln wird und freuen uns sehr über Anregungen (info@digiensemble.de) oder über euren Besuch bei öffentlichen Proben (DigiJam), bei denen Interessenten selbst die Digi-Instrumente ausprobieren und eigene Erfahrungen machen können.

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Wer hat darüber berichtet (Auswahl):

Matthias Krebs

ist Appmusiker, Diplom-Musik- und Medienpädagoge und wissenschaftlich tätig.

Matthias Krebs ist Gründer und Leiter des Smartphone-Orchesters DigiEnsemble Berlin und beschäftigt sich im Rahmen seiner Promotion mit der Aneignung digitaler Musikinstrumente. Weitere Forschungsschwerpunkte betreffen: Digitale Medien in Lehre und Forschung, Kommunikation im Social Web, Netzkunst, digitale Musikinstrumente und Musiker-Selbstvermarktung.

Er arbeitet und wirkt an der Universität der Künste Berlin als wissenschaftlicher Mitarbeiter, ist als Lehrbeauftragter an mehreren deutschen Musikhochschulen tätig und leitet regelmäßig Workshops.

Mehr: www.matthiaskrebs.de



Eine Antwort zu “Mit Smartphones klassische Musik spielen: „Ostinato für 8 iPods“”

  1. […] Sehr geniales Video und Artikel. Mit Smartphones oder I-Pods ist heute schon eine Menge kreatives Potential möglich. Einfach mal als Anregung und zum genießen. […]

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